Blaue Tiger

Blue Tigers

Kryptozoologie

Das Titelbild von Ausgabe 7 des Magazins Der Fährtenleser zeigt ein wirklich interessantes Tier, einen blauen Tiger, wie dieser in der chinesischen Mythologie anzutreffen ist. Diese stehen für gefährliche Raubtiere, wahre Monster, die die Bevölkerung terrorisieren. Erste Aufzeichnungen und Erzählungen reichen bis ins 14. Jahrhundert zurück. So ist es nicht verwunderlich, das dieses Motiv des blauen Tigers in der chinesischen Kunst anzutreffen ist und auch entsprechend oft kopiert wurde. Das Motiv auf dem Cover zeigt einen solchen blauen Tiger auf einer Porzellanvase aus Meißen, um das Jahr 1735 gefertigt.

Über lange Jahre galten solche Tiger als reines Fantasieprodukt und künstlerische Darstellungen, ein Mythos wie die Drachen, Einhörner und andere Fabelwesen. Dennoch gab es immer wieder Berichte, vor allem aus der chinesischen Provinz Fujian, die von solchen Tieren erzählten.

Im Jahr 1910 war der amerikanische Methodisten-Missionar und bekannte Tigerjäger Harry R. Caldwell im südöstlichen China unterwegs. Er beschrieb einen blauen Tiger, dessen Fell eine bläulich-graue Grundfarbe besaß, mit einem tiefen Blauton auf der Unterseite und Streifen ähnlich denen eines normalen Tigers.

Caldwell, ein erfahrener Jäger und zuverlässiger Augenzeuge, dachte zuerst an einen Mann in einem blauen Gewand, welcher am Boden hockte und zwei Kinder beobachtete, die in der Nähe Pflanzen sammelten. Erst als sich das Objekt bewegte, konnte er erkennen, dass es sich um einen Tiger handelte.

Der Fährtenleser - Ausgabe 7

Caldwell hatte versucht den Tiger zu schießen, jedoch waren die Umstände nicht gerade optimal und ein Schuss zu unsicher, zumal ein verletzter Tiger unberechenbar geworden wäre und Menschen angefallen hätte, die sich in der Nähe aufhielten. Er versuchte in eine bessere Schussposition zu gelangen und suchte einen wesentlich günstigeren Platz. Bevor Caldwell jedoch nochmals die Chance hatte, um den Tiger ins Visier nehmen zu können, verschwand dieser. Er schrieb über dieses Erlebnis mit einem blauen Tiger in seinem Buch Blue Tiger aus dem Jahr 1924. Hierin berichtete er auch von anderen Sichtungen blauer Tiger.

Caldwell nannte den Tiger „Bluebeard“ (Blaubart) und es wurde seine persönliche Mission das Tier zu schießen und an das prächtige Fell als Beweis zu gelangen. Obwohl er niemals dieses Tier schießen konnte, bestätigten Dorfbewohner die Präsenz dieser Tiere.

Gemeinsam mit seinem Sohn John C. Caldwell machte er sich später noch mehrmals auf den Weg, um doch noch einen der blauen Tiger zu finden. Sie fanden auf Bergpfaden zwar entsprechende Tigerhaare mit einem farblichen Einschlag, konnten aber keinen der mysteriösen blauen Tiger mehr finden.

Roy Chapman Andrews, ein Begleiter und Jagdgefährte Caldwells, bestätigte die Sichtung in Kapitel 7 seines 1925 erschienenen Buches Camps & Trails in China. Diesem Zeugen ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen, da er sich mit Tigern gut auskannte, immerhin war er der Kurator für Säugetiere im New Yorker American Museum of Natural History.

Interessant sind aber vor allem die Schilderungen der chinesischen Bevölkerung, die den Blauen Tiger als bösartige Bestie darstellen, die meist als Menschenfresser geschildert werden. Dies ist jedoch ein weiterer logischer Beweis für die Existenz dieser Tiere. Während normal gefärbte Tiger für ihren Lebensraum gut getarnt sind und sich so relativ gut an ihre Beute anschleichen können, fallen blaugefärbte Tiere eher auf, was den Jagderfolg erheblich beeinträchtigt. Menschen hingegen stellen für einen Tiger eine relativ einfache Beute dar, weshalb sich diese als schnelle Beute regelrecht anbieten. Dieses Verhalten ist von alten und verletzten Tigern bekannt, die sich auf Menschenjagd spezialisierten.

Neben der Bezeichnung „Blauer Tiger“ hat sich in den vergangenen Jahren noch eine weitere Bezeichnung für diese Tiere hervorgetan: Maltesische Tiger

Der Begriff „maltesisch“ stammt aus der Terminologie für Hauskatzen und bezieht sich auf eine bläulich-graue Pelzfarbe von Hauskatzen, vornehmlich Perserkatzen. Viele Katzen mit solchen Färbungen kommen in Malta vor, weshalb man solche Farbvarianten als Maltesische Katzen oder Malteser bezeichnet.

Bei den berüchtigten blauen Tigern handelte es sich, durch das Gebiet ihres Vorkommens, wahrscheinlich um Südchinesische Tiger. Der Südchinesische Tiger (Panthera tigris amoyensis) ist eine sehr seltene Unterart des Tigers. Laut vorsichtiger Schätzung des WWF leben nur noch wenige Exemplare in freier Wildbahn. Dies gilt jedoch keineswegs als gesichert, da es seit mehreren Jahrzehnten keine wissenschaftlich belegbare Sichtung gibt. Der Chinesische Tiger war ursprünglich im größten Teil Chinas verbreitet. Die Nordgrenze, an der er vom Amurtiger abgelöst wurde, lag etwa beim 40. Breitengrad. Im Süden stieß er im nördlichen Guangxi, Yunnan und Guangdong an das Gebiet des Indochina-Tigers, im Westen drang er entlang der Gebirgstäler weit in den Westen Mittelchinas vor. Die Unterart lebt heute nur noch in den Bergen der chinesischen Provinzen Guangdong, Fujian, Hunan, Jiangxi und Zhejiang. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts war er in großen Teilen des südlichen Chinas verbreitet. 1949 gab es noch Schätzungsweise 4.000 Tiere dieser Unterart. Die oft angegebene Anzahl von 20 bis 30 Exemplaren in Südchina gilt unter Experten als nicht mehr gesichert.

Die blaue Färbung der mysteriösen blauen Tiger beruht vermutlich auf einer lokal ausgeprägten Melaninstörung (Melanismus), die dem Fell einen dunklen, graublauen Schimmer verleiht. In den 1960er Jahren wurde im Woodland-Zoo in Oklahoma (USA) ein pseudomelanistischer Tiger geboren, der ein rauchfarbenes, graublaues Fell aufgrund einer Melaninstörung aufwies.

In letzter Zeit gab es gelegentlich Berichte über blaue Tiger in einer Gebirgsregion an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea. Da Nordkorea keine Ausländer einreisen lassen möchte, ist es derzeit unmöglich, dort Sichtungen zu untersuchen. Interessant ist daher die Fragestellung, ob sich die blauen Tiger in isolierten Populationen zu einer eigenen mutierten lokalen Unterart entwickelt haben? Belege hierfür gibt es keine, dennoch wäre dies denkbar.

Da der Südchinesische Tiger heute als quasi ausgerottet gilt, hat sich aber wohl auch das Schicksal der blauen Tiger endgültig erfüllt. Leider gibt es keine Proben oder gar ein Fell dieser mysteriösen Tiere, weshalb das Geheimnis dieser Großkatzen wohl für immer verborgen bleiben wird.

Blauer Tiger

Autor: Michael Schneider
Der Beitrag ist eine gekürzte Fassung des Artikels im Magazin Der Fährtenleser, Ausgabe 7 (2010)

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